Interview mit Arnfred Stoppok: “Die Qualitätsinitiative fragt nach – Gesundheitsversorgung im Fokus“

Interview mit Arnfred Stoppok: “Die Qualitätsinitiative fragt nach – Gesundheitsversorgung im Fokus“

“Gerade für Menschen mit chronischen Erkrankungen ist eine gute Dokumentation ihrer Krankengeschichte wichtig.”

Arnfred Stoppok

Die Interview-Reihe „Die Qualitätsinitiative fragt nach – Gesundheitsversorgung im Fokus“ ist eine regelmäßig erscheinende Rubrik, die Hintergrundinformationen zu aktuellen regionalen und überregionalen gesundheits- und arzneimittelpolitischen Themen liefert. Die Themen werden aus der Sicht verschiedener Entscheider*innen im niedersächsischen Gesundheitswesen beleuchtet.

Heute spricht Kerstin Zuege (Novo Nordisk Pharma GmbH) mit Arnfred Stoppok über das Thema “Die elektronische Patientenakte (ePA) – Erwartungen und Möglichkeiten?”

Arnfred Stoppok ist seit April 2019 Vorsitzender der Selbsthilfe- und Patientenvertretungsorganisation Diabetiker Niedersachsen e.V. Neben der 6-jährigen Tätigkeit als Leiter der Eventabteilung eines Pharmakonzerns hat der studierte Medien- und Eventmanager als Geschäftsführer einer Marketingagentur vorwiegend Kunden aus der Pharma- und Versicherungsbranche beraten und betreut. Selbst von Diabetes Typ 1 betroffen steht er im Diabetiker Niedersachsen wie kein anderer für die Digitalisierung der Selbsthilfe und treibt diese mit großen Schritten voran.

Welche Erwartungen haben Sie als Akteur im Gesundheitswesen an die ePA?

Arnfred Stoppok:

Wir erwarten von der elektronischen Patientenakte eine bessere Vernetzung von Hausärzten und Fachärzten, welche Wege bei der Übermittlung von Befunden verkürzt. Gerade für Menschen mit chronischen Erkrankungen ist eine gute Dokumentation ihrer Krankengeschichte wichtig. Zu oft werden wichtige Ereignisse in der Krankengeschichte im Wulst von Ausdrucken und Befunden übersehen, oder gehen gar verloren. Durch eine zentrale elektronische Erfassung und Abrufbarkeit von Befunden erwarten wir an dieser Stelle Abhilfe. 

Wie passt die ePA in den Alltag der an der Behandlung Beteiligten wie Ärzte, Psychotherapeuten, Pflegepersonal, sind diese dafür ausreichend gerüstet und motiviert?

Arnfred Stoppok:

Behandelnde sparen Zeit, da Befunde und selbst Überweisungen nicht mehr gedruckt bzw. angefordert werden müssen. Es reicht, sich mittels Einlesens der Versichertenkarte einen Überblick zu verschaffen. Selbst Volltextsuchen sollten bei vollem Digitalisierungsgrad möglich sein, die noch einmal den Weg zu einer gesuchten Information abkürzen.

Inwieweit die handelnden Akteure gerüstet oder motiviert sind, können wir pauschal nicht beurteilen. Die Informationen, die wir dazu in unserer Rolle als Patientenvertretung bekommen sind sehr unterschiedlich. Manche Praxen und Einrichtungen verfügen inzwischen über einen sehr hohen Digitalisierungsgrad und haben ihre Mitarbeiter entsprechend geschult. Andere hingegen scheinen in den achtziger Jahren stehen geblieben zu sein. Dies ist natürlich eng verknüpft mit Mindset und Motivationsgrad der jeweiligen Akteure. Im Gesamtbild sehen wir allerdings noch eine Menge Optimierungspotential und eklatanten Handlungsbedarf.

Was sollte noch in der ePA erfasst werden oder reichen die bisherigen Informationen aus?

Arnfred Stoppok:

Es kommt unseres Erachtens mehr darauf an, dass bisher einstellbare Daten von den Behandelnden auch sauber in die ePA eingetragen werden, im Rahmen der Berechtigungen, die der Patient erteilt hat. Nach bisherigem Stand kann dort ja schon die gesamte Primärdokumentation erfasst werden, soweit der Patient dies wünscht und die Behandelnden dem auch nachkommen.

Wichtig ist es jedoch, dass Fehldiagnosen – nach Einwilligung oder auf Wunsch des Patienten – auch von neuen Behandelnden korrigiert werden können. Hier ist leider noch ein Einfallstor für Probleme, welches wir noch nicht ausreichend geschlossen sehen.

Wie können Sie zur Akzeptanz beitragen bzw. die Verbreitung der ePA unterstützen?

Arnfred Stoppok:

Die beste Werbung ist ein Anstieg der Behandlungsqualität. Dieser ist mit kleinen Rückschlägen im Bereich Diabetes durchaus zu verzeichnen. Inwieweit die ePA dazu beiträgt können wir nicht beurteilen, da sie sich dafür noch nicht ausreichend durchgesetzt hat. Mit der steigenden Verbreitung von diabetologischen Schwerpunktpraxen gewinnt ein guter Austausch von Patientendaten hier jedoch mehr und mehr an Wichtigkeit. Dies betonen wir unseren Mitgliedern gegenüber auch bei entsprechenden Gelegenheiten. Die Horrornachrichten über Cyberkriminalität und mangelnde Sicherheit im Bereich elektronischer Datenerfassung erzeugen aber leider weiterhin ein hohes Pensum an Misstrauen gegenüber der ePA.

Sind Incentives für Versicherte und Behandler notwendig, damit die ePA Fahrt aufnimmt?

Arnfred Stoppok:

Der beste Anreiz ist immer noch ein Zugewinn an Komfort bei gleichzeitigem Vertrauen in die Sicherheit der Datenerfassung. Von Boni für Versicherte, die dem Anlegen einer ePA zustimmen, halten wir nichts, da die Thematik dann doch zu sensibel ist. Der Anreiz für Behandelnde ist hingegen schon da, werden doch allein Druck- und Portokosten gespart.

Aufklärung und bessere Erläuterung, der bereits im Prinzip immanenten Vorteile, halten wir generell für seröser und wichtiger als „Incentives“.

Die Einführung der ePA erfordert nicht nur die technische Infrastruktur zur Digitalisierung von Versorgungsprozessen. Sie ist auch eine enorme kommunikative Herausforderung, da die Nutzung der ePA für die Versicherten freiwillig ist. Werden Versicherte gut genug über die Möglichkeiten der ePA informiert und können alle daran teilhaben? 

Arnfred Stoppok:

Nein, immer wieder sind wir damit konfrontiert, dass Patienten keine Information von ihrem Arzt zur ePA bekommen haben. Die Versicherungen informieren zwar, allerdings oft in einer Sprache, die den Angesprochenen die Vorteile nicht erläutert und Vorurteile ausräumt.

Haben Sie schon ein Informationsangebot für Ihre Mitglieder erstellt oder angedacht? 

Arnfred Stoppok:

Wir haben bereits zur Einführung in einem längeren und informativen Artikel zum Thema informiert. Wir sehen uns als Patientenvertretung allerdings eher in der Aufgabe eines skeptischen Begleiters und Beobachters, der beim Thema Datensicherheit das Auge auf dem Patientenwohl hat, als in der Pflicht die ePA zu promoten. Gestellt wird die ePa vom Gesetzgeber im Verbund mit Krankenkassen und Behandelnden. Diese müssen auch für entsprechende Informationsangebote sorgen. Wir stellen aber natürlich weiterhin gern Neuigkeiten zum Thema zur Verfügung und beraten wohlwollend, wo wir Vorteile für das Patientenwohl sehen. Grundsätzlich halten wir dies bei der ePA für gegeben.

Das deutsche Gesundheitssystem ist in weiteren Teilen noch analog organisiert, ein vor kurzem praktiziertes digitales Gesundheitsprojekt war die bundesweit ausgerollte Corona-Warn-App, was können wir hiervon lernen? 

Arnfred Stoppok:

Die Warn-App kam zunächst ihrem Nutzen nicht wirklich nach und bot keinen Mehrwert. Dies wurde jedoch im weiteren Verlauf behoben, dennoch boten die Alternativen anderer Anbieter für bestimmte Funktionen (Zertifikaterfassung etc.) eine Zeitlang mehr. Die Warn-App hätte hier entweder immer das beste Produkt sein müssen, oder vom Gesetzgeber geschützt und als alleiniges offizielles Dokumentationsmittel gesetzt werden müssen. So entstand ein Flickenteppich an Apps, der viele Menschen von Beginn an überforderte.

Die ePA muss einfach in der Handhabung, vom Patienten mittels App oder Browser-Portal einfach, aber sicher, einsehbar sein und ihre Vorteile besser und verständlicher beworben werden. Vor allem sollte bei der Software zur Erfassung und Verarbeitung ein Standard definiert werden. Es darf kein Flickenteppich unterschiedlicher Software entstehen, der bei den Behandelnden dann wieder zu Problemen führt. Nur so lassen sich Schulungsinhalte zum Thema zentral und möglichst effektiv bereitstellen.

Wäre eine europäische Lösung sinnvoll/denkbar um Einblick auf die Daten von Versicherten zu haben? 

Arnfred Stoppok:

Ja, mindestens im EU-Raum mit seiner Freizügigkeit ist dies sowohl sinnvoll als auch denkbar. Selbst ein Öffnen der ePA für Behandelnde außerhalb der EU sollte den Versicherten möglich sein, um im Ausland in Notfällen bestmöglich versorgt zu sein.

Das Interview wurde am 19.04.2022 geführt.

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