Interview mit Dirk Vennekold: “Die Qualitätsinitiative fragt nach – Gesundheitsversorgung im Fokus“

Interview mit Dirk Vennekold: “Die Qualitätsinitiative fragt nach – Gesundheitsversorgung im Fokus“

“Corona hat uns allen gezeigt, welchen Schaden mangelhafte Digitalisierung anrichtet.”

Dirk Vennekold

Die Interview-Reihe „Die Qualitätsinitiative fragt nach – Gesundheitsversorgung im Fokus“ ist eine regelmäßig erscheinende Rubrik, die Hintergrundinformationen zu aktuellen regionalen und überregionalen gesundheits- und arzneimittelpolitischen Themen liefert. Die Themen werden aus der Sicht verschiedener Entscheider*innen im niedersächsischen Gesundheitswesen beleuchtet.

Heute spricht Kerstin Zuege (Novo Nordisk Pharma GmbH) mit Dirk Vennekold über das Thema “Die elektronische Patientenakte (ePA) – Erwartungen und Möglichkeiten?”

Dirk Vennekold, Jahrgang 1967, leitet nach verschiedenen Stationen innerhalb des Unternehmens seit 10 Jahren die Landesvertretung Niedersachsen der DAK-Gesundheit. Er hat nach dem Abitur eine Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten bei der DAK absolviert, anschließend Wirtschaftsinformatik studiert und sich später zum Gesundheitsökonom weitergebildet. Er lebt mit seiner Familie in der Region Hannover.

Welche Erwartungen haben Sie als Akteur im Gesundheitswesen an die ePA?

Dirk Vennekold:

Andere Länder sind uns weit voraus und zeigen uns, wie Digitalisierung im Gesundheitswesen funktioniert. Mit der Bereitstellung aller wichtigen technischen Komponenten ist der Grundstein für die ePA im Praxis- und Klinikalltag gelegt. Nun geht es darum, die elektronische Patientenakte mit Leben zu füllen, damit sie in naher Zukunft ein fester Bestandteil im medizinischen und pflegerischen Alltag wird. Immer mehr Ärztinnen und Ärzte werden anfangen, mit der elektronischen Patientenakte zu arbeiten. Ziel muss es sein, manuelle Prozesse auf Papier oder Fax in die digitale Welt zu überführen. Das erhöht die Transparenz sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für die Leistungserbringerseite. Wir erwarten dadurch eine schnellere Diagnostik und bessere Behandlungsmöglichkeiten sowie eine Vermeidung von Doppeluntersuchungen und Fehlmedikationen, wodurch Kosten reduziert werden können.

Was sollte noch in der ePA erfasst werden oder reichen die bisherigen Informationen aus?

Dirk Vennekold:

Der Zeitplan für die sukzessive Erweiterung der Funktionen der ePA steht bis Mitte 2023 bereits fest. Im Laufe dieses und des nächsten Jahres wird damit der Nutzen der ePA in mehreren Stufen erhöht. Dieser Nutzen ist aber nur realisierbar, wenn alle Leistungserbringer an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen werden. Es hat sich gezeigt, dass dieser Prozess komplex ist und Probleme bereitet. Hier sehe ich eine größere Baustelle, die zunächst zu bearbeiten ist.

Mit der TI 2.0 und der Opt-Out-ePA hat die Gematik bereits ein Konzept vorgelegt, das im Jahr 2025 an den Start gehen und nicht mehr auf der aktuellen Version der ePA basieren soll. Auf den ersten Blick klingt das zunächst mal gut. Bei genauerer Betrachtung wird man dann wahrscheinlich feststellen, dass dadurch von jetzt an bis 2025 die Weiterentwicklung der Digitalisierung stillstehen wird, weil alle Akteure auf 2025 warten und nicht mehr in die alte TI investieren werden. Das könnte dazu beitragen, dass Deutschland wertvolle Zeit bei der Digitalisierung verlieren wird.

Wie können Sie zur Akzeptanz beitragen bzw. die Verbreitung der ePA unterstützen? Sind Incentives für Versicherte und Behandler notwendig, damit die ePA Fahrt aufnimmt?

Dirk Vennekold:

Es ist verständlich, dass Behandler eine faire Vergütung für den Anschluss an die TI und die Befüllung der ePA erwarten. Das ist Sache der Vertragsparteien auf Bundesebene. Aus meiner Sicht wurden gute Ergebnisse gefunden. Incentives darüber hinaus halte ich nicht für notwendig. Wenn ich allerdings an die Misere mit den Konnektoren denke, wäre es vermutlich das beste Incentive für die Behandler, wenn man vorausschauender gehandelt hätte und diese Probleme gar nicht erst aufgetreten wären.

Für unsere Versicherten wird die ePA nicht die erste und einzige Anwendung auf dem Smartphone bleiben, die wichtige Funktionen übernehmen kann. Sie können schon heute ihre Kreditkarten zur Bezahlung im Smartphone hinterlegen, die öffentliche Verwaltung arbeitet am digitalen Führerschein und Personalausweis. Über kurz oder lang wird es eine Selbstverständlichkeit werden, sehr persönliche digitale Anwendungen z. B. auf dem Smartphone zu nutzen. Besondere Incentives halte ich darum nicht für erforderlich.

Die Einführung der ePA erfordert nicht nur die technische Infrastruktur zur Digitalisierung von Versorgungsprozessen. Sie ist auch eine enorme kommunikative Herausforderung, da die Nutzung der ePA für die Versicherten freiwillig ist. Werden Versicherte gut genug über die Möglichkeiten der ePA informiert und können alle daran teilhaben? 

Dirk Vennekold:

Wir informieren unsere Versicherten über vielfältige Kanäle. Auf unserer Homepage im Internet haben wir zum Thema ePA viele Informationen bereitgestellt. Unsere Kundenberatung steht telefonisch, persönlich sowie per Chat und Mail für sämtliche Fragen rund um die ePA zur Verfügung. Auch in unserem regelmäßig erscheinenden Mitgliedermagazin haben wir bereits mehrere Artikel dem Thema ePA gewidmet. Alle Versicherten, die über eine aktive elektronische Gesundheitskarte (eGK) verfügen, können die ePA nutzen. Für Kinder bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres führen sorgeberechtigte Vertreter die ePA, für Pflegebedürftige führen rechtlich legitimierte Betreuer die ePA. Seit dem 20.12.2021 besteht die Möglichkeit, auch weitere Vertreter zur Führung der eigenen ePA zu berechtigen.

Das deutsche Gesundheitssystem ist in weiteren Teilen noch analog organisiert, ein vor kurzem praktiziertes digitales Gesundheitsprojekt war die bundesweit ausgerollte Corona-Warn-App, was können wir hiervon lernen?

Dirk Vennekold:

Corona war und ist immer noch eine enorme Belastung für unsere Gesellschaft und unser Gesundheitswesen. Corona hat uns allen gezeigt, welchen Schaden mangelhafte Digitalisierung anrichtet. Wir haben bei der Kontaktnachverfolgung einen in Teilen überforderten öffentlichen Gesundheitsdienst erlebt. Wären wir bei der Digitalisierung bereits weiter gewesen und hätten die Daten nicht per Fax gemeldet und erfasst, sondern digital, hätte die Kontaktnachverfolgung ganz sicher viel reibungsloser funktioniert und viele Infektionen hätten vermieden werden können. Damit wäre in vielen Bereichen die Belastung des Gesundheitswesens nicht an kritische Grenzen gestoßen. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass am Ende durch eine effektivere Kontaktnachverfolgung sogar Todesfälle zu vermeiden gewesen wären, weil es erst gar nicht zu einer Infektion gekommen wäre. Es wäre aus meiner Sicht fahrlässig, im analogen Zeitalter zu verharren. Corona wird sicher keine einmalige Erscheinung bleiben.

Wäre eine europäische Lösung sinnvoll/denkbar, um Einblick auf die Daten von Versicherten zu haben?

Dirk Vennekold:

Der Gesetzentwurf für den European Health Data Space liegt bereits vor. Die Datenschutzdebatte in Bezug auf die ePA soll damit europäisiert werden. Es wird spannend sein, die Debatten dazu und den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens zu beobachten.

Das Interview wurde am 19.04.2022 geführt.

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