Die Interview-Reihe „Die Qualitätsinitiative fragt nach – Gesundheitsversorgung im Fokus“ ist eine regelmäßig erscheinende Rubrik, die Hintergrundinformationen zu aktuellen regionalen und überregionalen gesundheits- und arzneimittelpolitischen Themen liefert. Die Themen werden aus der Sicht verschiedener Entscheider*innen im niedersächsischen Gesundheitswesen beleuchtet.
Heute sprechen Dr. Monika Övermöhle (UCB Pharma GmbH), Dr. Christiane Look (AbbVie Deutschland GmbH & Co. KG) und Arne Kuckat (Grünenthal GmbH) mit Dirk Engelmann über das Thema “Klinikversorgung nach Corona – Wie geht es weiter?”
Dirk Engelmann ist seit November 2020 neuer Leiter der TK-Landesvertretung in Niedersachsen. Davor hat der studierte Politikwissenschaftler seit 2014 den Stab der Hamburgischen Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks geleitet. Durch diese Funktion ist er mit einem breiten Spektrum von gesundheitspolitischen Themen auf Bundes- und Landesebene vertraut und war an allen gesundheitspolitischen Reformen seit dieser Zeit mitbefasst, da Hamburg eine Koordinationsfunktion im Bundesrat eingenommen hat. In der Gesundheitspolitik ist Dirk Engelmann seit 2005 beheimatet, vor der Hamburger Station auf Bundesebene in Berlin und hat sich seitdem immer wieder auch mit Fragen der Digitalisierung auseinandergesetzt. |
Dirk Engelmann:
Bei der Behandlung der mit Corona infizierten Patienten haben sich verschiedene Versorgungsstufen etabliert. Bei den Maximalversorgern werden die besonders schweren Corona Fälle behandelt und Kliniken der Fachversorgung oder Grundversorgung werden die Corona Fälle aufgenommen, die mit den dort zur Verfügung stehenden Mitteln gut versorgt werden können. Damit wird hohe Qualität im Behandlungsprozess gewährleistet.
In Zukunft sollte der Kliniksektor sich konsequent an Versorgungstufen ausrichten, so wie es die Enquete-Kommission vorgeschlagen hat. Die Corona-Erfahrungen können dabei helfen. Insgesamt müssen wir die Versorgung stärker am Bedarf ausrichten, der sich aus der Morbidität und der regionalen Bevölkerungsentwicklung sowie dem medizinischen Fortschritt und natürlich der Digitalisierung ergibt. Im Moment haben wir eine Ist-Fortschreibung in der Krankenhausplanung. Daraus erwachsen Fragen die die Wirtschaftlichkeit einzelner Häuser, die sinnvolle Steuerung von Investitionen aber auch den Personaleinsatz berühren. Wir brauchen regionale Versorgungstrukturen, die nachhaltig und qualitativ hochwertig sind.
Dirk Engelmann:
In Niedersachsen kommen derzeit aus dem Kliniksektor selbst Fusions- und Neubauprojekte. Dies zeigt, dass der stationäre Sektor im Umbruch ist. Diesen Prozess muss man mit den Akteuren und Betroffenen sensibel und klug gestalten. Am Ende darf die Frage nicht isoliert JA oder NEIN bzgl. Standortschließung lauten, sondern im Kern muss das Ziel einer regional tragfähigen und nachhaltigen Versorgungsstruktur für die Patientinnen und Patienten stehen. Das kann mit Fusionen, Neubauprojekten, regionalen Gesundheitszentren u.v.m. erreicht werden. Auch hier hat die Enquete-Kommission ein gutes Instrumentarium vorgeschlagen.
Dirk Engelmann:
Kurz und knapp: Bedarfs- und patientenorientiert, sektorenübergreifend und digital. Bei allem muss Qualität immer der wichtigste Maßstab sein und in einem Flächenland ist Erreichbarkeit ein wichtiges Kriterium.
Dirk Engelmann:
Das kommt immer darauf an über was man spricht. Für die Notfallversorgung gibt es klare Vorgaben. Die stationäre Regelversorgung muss regional erreichbar sein. Für spezialisierte Behandlungen und elektive Leistungen können für gute Qualität längere Anfahrtswege in Kauf genommen werden. Im Übrigen tun das viele Patientinnen und Patienten schon heute. Und nicht zu vergessen: Die Nutzung telemedizinischer Anwendungen bringt medizinische Leistungen in einem viel breiteren Spektrum in Wohnortnähe. Ein großer Vorteil der Digitalisierung.
Dirk Engelmann:
Die Kommunikation wird sich digitalisieren. Die Zeit, in der mit hergebrachten analogen Mitteln kommuniziert werden muss, sollte mehr und mehr der Vergangenheit angehören. Die elektronische Patientenakte, die die TK vorangebracht und erfolgreich eingeführt hat, bietet eine sehr gute Plattform für die Kommunikation im Gesundheitssystem. Ebenso das eRezept oder Telemedizin.
Ich verstehe, dass das für viele Leistungserbringende eine neue Kultur und auch ein neuer herausfordernder Alltag in den Einrichtungen bedeutet. Daher ist das eine gemeinsame Aufgabe. Wir müssen die Vorteile der Digitalisierung in den Blick rücken. Aber ganz ohne Aufwand und Investitionen kommt man nicht in das digitale Zeitalter. Praktisch sehen wir aber auch gerade in der Corona-Pandemie, wie groß der Bedarf an digitalen Möglichkeiten ist: Dass Videosprechstunden boomen, ist doch ein wichtiges positives Signal und von gegenseitigem Nutzen für alle.
Dirk Engelmann:
Auf jeden Fall. Zunehmend nutzen viele Versicherte digitale Gesundheitsanwendungen, die sie beim Erhalt oder der Wiedererlangung von Gesundheit unterstützen. Das kann Compliance und Behandlungserfolg stützen. Viele Medizinerinnen und Mediziner erzielen mit der Nutzung zunehmend tolle Erfolge. Als TK haben wir z.B. geholfen, die App Herodikos zu etablieren. Herodikos hilft bei der Behandlung von Rücken und Gelenkschmerzen, die in der Praxis gut läuft. Ein sehr konkreter Nutzen.
Die digitale Versorgung läuft aber auch zum Teil im Hintergrund, d.h. bei einem Schlaganfall kann sich das Krankenhaus vor Ort mit einem Expertenzentrum vernetzen. Die Experten können auf Basis der CT-Bilder eine Therapieentscheidung unterstützen und damit die Versorgung vor Ort für den Patienten verbessern. Hierbei gibt es bereits mehrere gute Beispiele, wo dies in Niedersachsen erfolgreich angewendet wird.
Dirk Engelmann:
Ich würde auch hier auf die Enquete Kommission verweisen, die dazu Aussagen macht. Zunächst gibt es IVENA , das Online-System über die Notfallkapazitäten. Darüber können Belegungen gesteuert werden. Das Leitziel muss aber eine gute Pflegepersonalausstattung sein, mit der Belastungsspitzen abgepuffert werden können. Die Attraktivität des Pflegeberufs kann und sollte weiter verbessert werden. Hierzu ist in den letzten Jahren viel geschehen. Entscheidend kann auch hier sein, ob wir lokal die passenden Versorgungsstrukturen vorhalten, um Pflegepersonal dort eine attraktive Beschäftigung zu bieten.
Dirk Engelmann:
Es wird eine Klinikfinanzierungs-Diskussion geben müssen und als TK steht hierbei im Vordergrund, im Kern am DRG System festzuhalten. Aber das sollte um eine Finanzierung der Vorhaltung ergänzt werden. Unser aktuelles Finanzierungssystem ist zu sehr auf Fallzahlmaximierung ausgelegt, wodurch es zwangsläufig zu Personalengpässen kommt.
Vorhaltestrukturen sind Strukturen, die auch außerhalb der wettbewerblichen Betriebskostenfinanzierung da sein müssen. So kommen wir aber wieder in den Krankenhaus planerischen Bereich.
Man benötigt ein gemeinsames Verständnis mit Klinikbetreibern und den Planungsbehörden, um sich darauf zu verständigen was dann notwendig sein wird vorzuhalten. Und da wird es schon schwierig.
Wichtig wäre zusätzlich die Qualität besonders zu vergüten, z. B. eine zusätzliche Vergütung über Qualitätsindikatoren wie Struktur- und Prozessqualität (Standard-DRGs und Qualitäts-DRGs). So könnte ein Maximum für unsere Versicherten generiert werden.
Das sind die drei Bausteine, wie aus TK-Sicht das Klinikfinanzierungssystem grundlegend fortentwickelt werden könnte.
Nicht zu vergessen: Die Länder sollten ihrer Investitionskostenverpflichtung nachkommen. Nur so wird eine auskömmliche Krankenhausfinanzierung gelingen. Auch dafür ist allerdings in Niedersachsen eine bedarfsgerechte Krankenhausplanung Voraussetzung, um Investitionen zielgerichtet zu steuern.
Dirk Engelmann:
Das kann ich in einem Satz beantworten: Mut zur gesetzgeberischen Umsetzung der Maßnahmen, die die Enquete Kommission vorgeschlagen hat.
Das Interview wurde am 16.02.2021 geführt.
>>Gelangen Sie hier zu der Übersicht der Rubrik: Die Qualitätsinitiative fragt nach<<